10.06.2022 / Agenda Währing

Und? Was sind jetzt die nachhaltigen Mobilitätslösungen für den Währinger Westen?

Im Westen von Währing, da wo der Bezirk dünner besiedelt ist, ist das Netz des öffentlichen Verkehrs weniger engmaschig gestrickt. Auch Topographie, Demographie und Wohnsituation spielen eine Rolle, warum heute viele Wege - zum Einkaufen, in die Arbeit oder zum Treffen mit Bekannten - mit dem Auto zurückgelegt werden. 

 

Eine geringere Bebauungsdichte, überwiegende Wohnbevölkerung, eine ausgeprägte Topographie kombiniert mit einem weiten Netz an Haltestellen, großen Intervallen und kürzeren Betriebszeiten im öffentlichen Verkehr, die fehlende Anbindung von Schulen und Kindergärten und die vielen Kfz-Stellplätzen im öffentlichen Raum haben eines zur Folge: Viele Menschen sind für ihre Alltagswege auf das Auto angewiesen.

 

Wie können flexible und nachhaltige Mobilitätsangebote in dünner besiedelten Bezirksteilen umgesetzt werden? Wie wird der Umweltverbund im Währinger Westen gestärkt? Welche Mobilitätskonzepte entsprechen Mobilitätsbedürfnissen älterer Menschen bzw. Menschen mit eingeschränkter Mobilität? Welchen Einfluss haben technologische Innovationen auf die Mobilität in den westlichen Bezirksteilen?

 

Die Agendagruppe 18 bewegt hat sich im vergangenen halben Jahr intensiv mit Fragen zu einer nachhaltigen Mobilität auseinander- und mit vier Expert:innen zusammengesetzt. Hier ein Rückblick und eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse:

 

 

Loris Knoll - 11.11.2021
"Mikro-ÖV als neue ÖV-Ergänzung in städtischen Randlagen"

 

Mikro-ÖV ist eine Mischform zwischen herkömmlichem öffentlichem Verkehr und Taxis, die dabei helfen, Einsatzgrenzen des öffentlichen Verkehrs zu überwinden. Kleinere Fahrzeuge sind unterwegs und bündeln bedarfsorientiert Fahrten.

 

Im Rahmen seiner Bachelorarbeit setzte sich Loris Knoll intensiv damit auseinander, ob mittels eines Bezirksbusses Gebiete außerhalb des Einzugsbereichs öffentlicher Verkehrsmittel abgedeckt werden können. Er fokussierte dabei seine Recherche und Überlegungen auf die Bezirke Währing und Döbling: „Da es in diesen beiden Bezirken nach wie vor größere, nahe beieinander liegende Gebiete gibt, die außerhalb des Einzugsbereichs öffentlicher Verkehrsmittel liegen und ÖV-Querverbindungen fehlen, bietet sich ein neues flächenbedienendes Mikro-ÖV-Angebot, das als Bezirksbus bezeichnet werden kann, an.“

 

Spannend waren auch die Ergebnisse einer Online-Umfrage, die er im Rahmen seiner Arbeit umsetzte: „Die Menschen wären durchaus bereit auf nachhaltige Mobilitätsformen umzusteigen, jedoch fehlen ihnen attraktive Angebote.“

 

Routenkonzept-Komponenten:

  • Gebiete außerhalb des Einzugsbereichs öffentlicher Verkehrsmittel sollen Verknüpfungspunkte mit öffentlichen Verkehrsmitteln an attraktiven Haltestellen bekommen und Umsteigemöglichkeiten in Verkehrsmittel direkt in die Innenstadt ermöglichen.
  • Wo ÖV-Querverbindungen fehlen, schafft der Bezirksbus neue.
  • Es soll vermieden werden, dass Parallelverkehr zum bestehenden ÖV entsteht und dass lange Fahrten quer durch das gesamte Gebiet bestellt werden, ohne dass für den Fahrgast komplizierte Zonenregelungen geschaffen werden müssen.

 

 

Olivia Kantner - 10.1.2022
"Wie gelingt ein Modal Shift? Verkehrsverlagerung auf umweltfreundliche Mobilitätsformen."


Olivia Kantner ist Verkehrsplaner*in im Büro komobile. Sie stellte die Ziele aus den Fachkonzepten Mobilität und Grün- und Freiraum der Stadt Wien und auch die Herausforderungen im Währinger Westen dar.

 

Diese Konzepte schlagen sich im Modal Split wieder, also der Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsmittel. Wesentlich mehr Wege werden mit dem Auto zurückgelegt, mit all den negativen Auswirkungen auf das Klima, die Qualität der öffentliche Räume und die Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung.

 

Ziel sollte ein Modal Shift sein, also eine Verkehrsverlagerung auf umweltfreundliche Mobilitätsformen. Und dafür, so die Verkehrsplanerin, muss an vielen Stellschrauben gedreht werden.

 

Eine Schlüsselrolle spielt ein gut ausgebautes Öffi-Netz

Engere Taktintervalle, eine bessere Routenführung mit Querverbindungen und längere Betriebszeiten seien notwendig, um Öffis als Alternative zum Auto attraktiv zu machen. Eine große Chance bieten auch ein verbesserter Mico-ÖV bzw. Bedarfsmobilität wie Rufbusse, auf die auch schon Loris Knoll im ersten Vortrag der Reihe einging.

 

Dabei muss besonders auf eine gute Anbindung der Schulen und Kindergärten geachtet werden. Zuletzt hat nämlich das „Elterntaxi“ rasant zugenommen. Das steigere nicht nur die morgendliche Verkehrsbelastung, sondern verhindere auch das Erlernen wichtiger Verkehrskompetenzen von Kindern beim selbstständigen Weg zur Schule.

 

Chancen für das Radfahren nutzen

Im Wien-weiten Vergleich werden im Währinger Westen nur wenige Wege mit dem Rad zurückgelegt. Notwendig ist daher eine bessere und sicherere Radinfrastruktur, wie sie derzeit auf der klimafitten und radfreundlichen Pötzleinsdorfer Straße in Umsetzung ist. Auch E-Bikes gewinnen in hügeligen Gebieten immer mehr an Bedeutung.

 

Zu-Fuß-Gehen attraktiv machen

Ein weiterer zentraler Baustein für eine nachhaltige Mobilität ist ein attraktives Umfeld für das Zu-Fuß-Gehen. „Schließlich sind wir alle auch zu Fuß unterwegs“, so Kantner. Ihre Empfehlung lautet daher auch im weiteren Prozess einen Fokus auf den Fußverkehr zu legen. Denn schon einfache Maßnahmen wie das Beseitigen von Mülltonnen oder anderen Hindernissen auf Gehwegen könnten wichtige Verbesserungen mit sich bringen.

 

Mit vielfältigen Mobilitätsangeboten weg vom eigenen Auto

Schließlich bietet auch die Digitalisierung vielfältige Chancen für eine nachhaltige Mobilität der Zukunft. So gewinnen beispielsweise E-Lastenrad- und Car-Sharing-Modelle als Alternativen zum Auto immer mehr an Bedeutung.

 

 

 

Christoph Kirchberger - 30.03.2022
"Teilen Sie Ihr Auto! Good-Practice und Lösungen rund um das geteilte Auto"

 

In der dritten Runde nahm Christoph Kirchberger von der TU Wien - Verkehrssystemplanung und Gründer von Mobyome in unserer Runde Platz. Christoph ist ein umtriebiger Vorausdenker, der sich in  vielfältigen (Forschungs-)Projekten mit Fragen einer nachhaltigen Mobilität, Mobilitätsmanagement und innovativen Zugängen auseinandersetzt. Unter den Titel „Teilen Sie Ihr Auto!“ stellte er Potenziale, Möglichkeiten bzw. Varianten und Best-Practice-Beispiele zum Thema Carsharing vor.

 
Wenn Du ein Glas Milch benötigst, kaufst Du Dir dann eine Kuh?

Jeder PKW hat hohe Fixkosten. Wenn man weniger als 15.000 Kilometer im Jahr fährt, übersteigen diese das bis zu vierfache der variablen Kosten (z.B. Benzin, Maut, Verschleiß). Fixkosten werden bei Carsharing geteilt. Die Faustregel von Seiten des Bundesverbands CarSharing e.V. lautet: unter 10.000 gefahrenen Kilometern im Jahr können durch Carsharing Kosten eingespart werden. Ein Carsharing-Auto ersetzt mehrere Privat-Autos, reduziert den Platzbedarf und fördert als gemeinschaftliche Lösungen den sozialen Austausch.

 

Es ist so einfach! Echt?

Carsharing kann vielfältig organisiert werden – als Plattform, Verein und Genossenschaft. Über eine weltweite Community, Apps, Keyless-Schließsysteme oder selbstorganisiert mit Nachbar:innen und Schlüsselsafe. Geteilt wird dabei zunehmend nicht nur das Auto sondern auch Räder, Lastenräder, Roller usw.

 

Kann Carsharing einen Beitrag zu einer nachhaltigen Mobilität im Währinger Westen leisten?

Wird mit Carsharing am Ende nicht mehr Auto gefahren? Besteht nicht die Gefahr, dass die Nutzer:innen, wenn sie schon im Auto sitzen, nicht gleich weiter fahren? In einem Gebiet, wie dem Währinger Westen, kann Carsharing auch nachteilige Wirkungen haben. Dennoch kann es wichtige Beiträge leisten: für mehr Freiräume im Öffentlichen Raum.

 

 

 

Gerold Ludwig - 26.4.2022
"Öffentlicher Verkehr in dünn besiedelten Stadtteilen"

 

Reden wir über nachhaltige Mobilität in Wien, müssen wir über öffentlichen Verkehr sprechen. Sprechen wir in Wien über öffentlichen Verkehr, dann am besten mit jemanden von den Wiener Linien.

 

Gerold Ludwig bildete den Abschluss unser Vortrags- und Gesprächsreihe mit einer spannenden Diskussion zu Herausforderungen und Möglichkeiten für einen attraktiven öffentlichen Verkehr im Währinger Westen.

 

Busse, Straßenbahnen, U-Bahnen und S-Bahnlinien bilden das Wiener Verkehrsnetz ab. Eine besondere Herausforderung stellt die Angebotsplanung dar. Also wo, auf welchen Linien und mit welchem „Material“ bzw. Fahrzeugen wir unterwegs sind. „Das ist von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig“, so Ludwig weiter. „Wie viele Personen sind zu welchen Tageszeiten unterwegs? Gibt es Schulen, große Betriebe oder sonstige Ziele in der Nähe, die zu den Stoßzeiten für besonders viele Fahrgäste sorgen? Wie hoch ist die Bevölkerungsdichte in einem Gebiet? Und die zentrale Frage ist, welches Fahrgastpotenzial sich daraus ergibt.“

 

Angebote können da geschaffen werden, wo es auch Sinn macht und das bedeutet für die Wiener Linien, wo eben dieses Fahrgastpotenzial zu erwarten ist.

 

Und genau das macht einen Linienverkehr in Währing so schwierig. Die geringe Bevölkerungsdichte und wenige Arbeitsplätze haben ein geringes Fahrgastpotenzial zur Folge. Gibt es Projekte, wie den neuen Kindergarten in Pötzleinsdorf, werden bestehende Linien und Optionen überprüft. Hier kommt es insbesondere in der Früh für einen kurzen Zeitraum zu einem sehr hohen Verkehrsaufkommen. Das macht deutlich, dass der Einsatz des Personals eine besondere Herausforderung im Linienverkehr darstellen: „Man kann Fahrer:innen ja nicht nur morgens für eine Stunde einsetzen.“ Das ist aus Sicht von Ludwig als Sonderverkehr zu sehen und wird so von den Wiener Verkehrsbetrieben nicht angeboten.

 

Einen wichtigen Beitrag, die Mobilitätslücken im öffentlichen Verkehr zu schließen, können Micromobilitätsangebote leisten. Dazu haben die Wiener Linien im Bezirk Liesing ein Forschungsprojekt gestartet. Die Wien Mobil Hüpfer, zwei E-Kleinbusse, bringen Fahrgäste auf Abruf (On Demand) und kostenlos an Ihr individuelles Ziel.

 

Auch die neuen WienMobil Stationen sollen einen Beitrag zur Intermodalität und damit zu einer nachhaltigen Mobilität leisten.