01.12.2023 / LA 21

NACHHALTIG IM GESPRÄCH: DAS NEHMEN WIR MIT!

KREATIVE IDEEN FÜR BESSERE STÄDTE: DIE MACHT VON URBANEN EXPERIMENTEN

 

Wie kann der Lebensraum Straße zurückerobert werden? Wie eignen sich Menschen öffentliche Plätze in ihrem Grätzl an? Wer profitiert davon und was bewirken solche Veränderungen?

 

In der zweiten Runde von „Nachhaltig im Gespräch – Visionen für die Zukunft“ sind wir diesen Fragen nachgegangen und haben uns über die Bedeutung von urbanen Experimenten ausgetauscht.

 

Jennifer Kickert (Gemeinderätin, Vorstandsmitglied LA 21), Barbara Knäusl (Verein O.N.E.16 Sommeroase Hasnerstraße), Eva Braxenthaler (Projektleiterin Aktionsprogramm Grätzloase), Brigitte Vettori (Initiatorin „space and place“) und Philip Krassnitzer (Projektleiter Agenda Alsergrund) waren unsere Gäste und Expert*innen des Abends. Jede*r brachte seinen Blickwinkel auf das Thema und eigene Erfahrungen mit. Sie kennen die Potenziale, Grauzonen und Spielräume, die es zu erkunden gilt, besser als jede*r andere!

 

Wohnstraßen als Spielwiese für urbane Experimente

"Tactical Urbanism" ist ein Ansatz, der kurzfristige und kostengünstige Eingriffe im Stadtraum umfasst, von kleinen Parklets bis hin zu ganzen Straßenabschnitten. Damit können langfristige Veränderungen in der Stadtgestaltung und -kultur angestoßen werden.

 

“Short-term action for long-term change” Brigitte Vettori (Space and Place)

 

Wohnstraßen eignen sich dabei als einzigartige Experimentierräume. Da der Aufenthalt von Menschen auf der Wohnstraße grundsätzlich erlaubt ist, sind weniger Genehmigungen erforderlich und Autos dürfen mit einer Höchstgeschwindigkeit von 5 km/h nur Zu- und Abfahren. Mit ihrem Projekt “Wohnstraßenkultur”, das seit 2018 Orte und Nachbarschaften zum Leben erweckt, haben space and place in Wien Pionierarbeit geleitest: Wohnstraßen werden zu einem Ort der Gemütlichkeit, des Feierns, des Ausdrucks, des Aufwachsens und der Aneignung.

 

Das Ziel: Grauzonen ausloten. Schon mit wenigen Mitteln kann viel bewirkt werden. Ein paar Möbel in die Parkspur stellen, Topfpflanze daneben, die Straße bemalen und schon entsteht ein öffentliches Wohnzimmer für die Nachbarschaft. Das langfristige Ziel ist, bestehende Wohnstraßen dauerhaft zu solchen öffentlichen Räumen umzugestalten und die Erfolge in zukünftigen Projekten der Stadt und ihrer Partner zu berücksichtigen.

 

Warum ist „Tactical Urbanism“ so effektiv? Es ist kostengünstig, erfordert kurze Planungszeiten und weckt großes Interesse, auch in den Medien. Die größte Wirkung haben diese temporären Aktionen auf Kinder, denn sie haben noch „kaum Vorstellungen von der Straßennutzung, wie Erwachsene“, so Brigitte Vettori. Kinder nehmen diese neuen Freiräume ganz selbstverständlich an. Diese selbstbewusste Nutzung des öffentlichen Raums durch alle braucht jedoch Zeit. Urbane Experimente sind der erste Schritt zu einer Kulturänderung in diesem Bereich. Der Erfolg von Grätzloasen zeigt, dass uns das Experimentieren recht gegeben hat!

 

Was braucht’s konkret? Rahmenbedingungen und Prinzipien Experimente

 

Ohne finanzielle Unterstützung läuft wenig. Philip Krassnitzer von der Agenda Alsergrund berichtet, wie viel Budget erforderlich ist, um Erfolgsprojekte wie die Grätzloase HalliGalli vor einer Schule in kurzer Zeit zu realisieren und wirken zu lassen. Schon mit 3000 bis 5000€ könnten bedeutende Veränderungen erreicht werden. Entsprechend könnten größere Budgets und niederschwellige Förderkriterien auch für ganze Straßenzüge oder Plätze große Veränderungen anstoßen und die Umsetzungserfolge der Agendagruppen unterstützen.

 

Ein Thema, das bei Engagierten viele ungeklärte Fragen aufwirft, sind Haftungen und Versicherungen, die für jede Aktion im öffentlichen Raum erforderlich sind, sei es eine Straßensperre oder ein Parklet. Oft müssen Bürger*innen selbst die Haftung übernehmen, was viele abschreckt. Die Stadt könnte unterstützen, indem sie Versicherungspakete anbietet und so sicherere Bedingungen für engagierte Bürger*innen schafft.

 

Die Agendateams spielen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Experimenten. Ihre Aufgabe ist es, zwischen Bürger*innen, Politik und Verwaltung zu vermitteln. Als Anlaufstelle für Bürger*innen begleiten sie von der Idee über das Experiment bis hin zur dauerhaften Umgestaltung. Ihre strategische Unterstützung gewährleistet erfolgreiche Prozesse und Zufriedenheit auf allen Seiten. Mutige Experimente führen zu Entwicklungen in Verwaltung und Politik, betonten Eva Braxenthaler und Jennifer Kickert.

 

„Erste Ideen schlagen sich dann oft dank mutiger Beamt*innen nieder und werden nach und nach von den entsprechenden Abteilungen zum Standard.“, sagt Jennifer Kickert (Gemeinderätin, Vorstandsmitglied LA21 Wien).

 

Dies zeigt sich an Baumscheibenbegrünungen, die zuerst von einer Anwohnerin initiiert wurden und nun feste Bestandteile des Viertels sind und von der Gebietsbetreuung Stadterneuerung betreut werden – mit großer Nachfrage!

Eine weitere wichtige Voraussetzung ist, Experimente für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen und die Stadtgestaltung für alle Stadtbewohner*innen ansprechend zu gestalten.

 

Der nächste große Schritt - Vom Experiment zum Standardmodell! 

 

"In ganz Wien gibt es spannende Projekte, die wie ein Mosaik die Stadt durchziehen, aber zu wenig in Bezug zueinanderstehen. In dem Sinne wäre der nächste große Schritt ähnliche Projekte bezirksübergreifend zu vernetzen, die Qualitäten der erfolgreichen Experimente herauszuarbeiten, um dann eine Ebene höher zum Standard in der Wiener Stadtentwicklung zu werden.“, äußerte sich eine Teilnehmerin bei Nachhaltig im Gespräch.

 

So könnte in Zukunft jeder Schulvorplatz zum sicheren Aufenthaltsort werden oder Barrieren im öffentlichen Raum rund um Pensionist:innenheime in ganz Wien abgebaut werden. So könnten Schulvorplätze zu sicheren Aufenthaltsorten werden oder Barrieren im öffentlichen Raum rund um Pensionistenheime in ganz Wien abgebaut werden. Beides sind Beispiele erfolgreicher Agendaprojekte der letzten Jahre mit hoher Zustimmung und somit leicht zu erreichende Ziele für die Stadttransformation. Auf diese Weise kann die von Brigitte Vettori angesprochene Kulturänderung in der Nutzung des Stadtraums in ganz Wien vorangetrieben werden.

 

Auch bei den Wohnstraßen ist laut Brigitte Vettori nach sechs Jahren mit vielen Erfolgen und großer Aufmerksamkeit die Zeit des Experimentierens vorbei. Der große nächste Schritt besteht darin, erfolgreiche Praktiken in die Strategien und Programme der Stadt Wien zu integrieren und entsprechend zu unterstützen. Die Expert*innen der Gesprächsrunde waren sich schlussendlich einig, dass wir ein klares Bekenntnis zu Experimenten als Werkzeug in der Stadtentwicklung brauchen und den Mut haben müssen, Grauzonen als Möglichkeitsräume zu erkunden. Die Erfahrung zeigt, dass kreative Ideen eine enorme Macht besitzen, um lebendige, grüne und entspannte Räume zu einem festen Bestandteil des Stadtbilds zu machen – und das mit großer Zustimmung der Anwohner*innen.

 

 

Dialogveranstaltung verpasst? Der Impulsvortrag "Schwing dich raus! Tactical Urbanism, Co-Kreation und die Kunst der Wohnstraßenkultur" von Brigitte Vettori ist online

 

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Bild des Videos mit Schriftzug LA21 -Lokale Agenda Wien